Eine Zukunft ohne Wenckebachkrankenhaus?

Versorgung ist keine Frage von Institutionen sondern eine Frage von Prozessen
Das Vivantes Wenckebachkrankenhaus in Tempelhof fotografiert von Monique Wüstenhagen.
Erstellt von:Nils Dehne
Erstellt am:22.05.2022
Aktualisiert am:22.05.2022, 11:14

Für viele Menschen aus Tempelhof und den umliegenden Bezirken ist die Zukunft des Wenckebachkrankenhauses ein großes Thema. Vor etwa einem Jahr hat der kommunale Krankenhauskonzern und Träger des Hauses die Schließung angekündigt. Voraussichtlich zum Ende des laufenden Jahres werden die wesentlichen Bereiche des Krankenhausbetriebes ans Auguste Viktoria Krankenhaus Richtung Steglitz umziehen. Dort kann man derzeit bereits umfassende Baumaßnahmen zur Erweiterung des Standortes beobachten. In Tempelhof wird dann nur noch eine geriatrische und psychiatrische Versorgung stattfinden.

Viele von uns verbinden sehr persönliche Erfahrungen mit dem beschaulichen Gebäudeensemble auf dem großen Gelände im Herzen von Tempelhof. Die Rettungsstelle konnte mit kurzen Wegen überzeugen und war selten Überlaufen. Auch beim Besuch von Angehörigen oder Freunden hatte man selten das Gefühl, in einem richtigen Krankenhaus zu sein. Die Ruhe und die überschaubaren Strukturen überzeugen bis heute. Aber genau darin liegt auch die Problematik für die Fortführung des Krankenhausstandortes. Im Not- oder Bedarfsfall hoffen wir alle auf die bestmögliche medizinische Versorgung im Krankenhaus. Medizin und Technik machen heute in vielen Fällen eine schnelle und vollständige Genesung möglich. Diese Errungenschaften sollten wir uns in der Diskussion über unsere Krankenhausstandorte immer Bewusst machen. Ohne die Aussicht auf eine Genesung wären Lage und Attraktivität eines Krankenhauses nur von nachrangiger Bedeutung. Diese Aussicht auf Genesung lässt sich heute allerdings nur durch ausgewiesene SpezialistInnen und spezialisierte Medizintechnik sichterstellen. SpezialistInnen entwickeln sich durch Erfahrung und durch eine Fokussierung auf das jeweilige Spezialgebiet. Dabei geht es heute vielfach nicht mehr um die Frage nach einem Facharzt oder Fachärztin für Unfallchirurgie oder Viszeralchirurgie, sondern um Spezialistinnen für Schulter- oder Leberoperationen. Auch die spezialisierte Technik lässt sich nur dann nachhaltig betreiben, wenn diese ausreichend oft zum Einsatz kommt. Auch hierbei hängt der Erfolg vielfach von der Häufigkeit der Nutzung und der damit verbundenen Erfahrung ab. Es liegt nahe, dass diese Spezialisierung nicht mehr an jedem Krankenhausstandort darstellbar ist. Ein Krankenhaus ohne SpezialistInnen erfüllt aber nur selten die Hoffnung auf eine schnelle und vollständige Genesung. Und dennoch gibt es das berechtigte Bedürfnis nach einer guten wohnortnahen Gesundheitsversorgung für jeden Not- und Bedarfsfall.

Die Lösung für dieses Dilemma können für uns nur neue Formen der Gesundheitsversorgung darstellen. Nicht immer wird gleich ein ganzes Krankenhaus benötigt. Vielmehr muss die Expertise des Krankenhauses auch in der Fläche verfügbar sein. Hierfür gibt es leider bisher noch viel zu wenig gute Lösungen. Das liegt auch daran, dass in Deutschland die Versorgung durch niedergelassene Praxen und durch Krankenhäuser strikt getrennt ist. Wir haben in der vergangenen Woche den Dialog mit den maßgeblichen Experten des Klinikkonzerns Vivantes gesucht. Gemeinsam haben wir festgestellt, dass das MaCh160-Konzept die Grundlagen dafür schafft, dringend benötigte medizinische Fachexpertise gezielt zu den Menschen vor Ort zu bringen. So könnten mit unserem flexiblen Praxisbetrieb ExpertInnen des Klinikkonzerns an einzelnen Tagen für bestimmte Sprechstunden in der MaCh160 tätig werden. Genauso könnten die ÄrztInnen in der MaCh160 bei Bedarf mit Hilfe entsprechender Videotechnik die SpezialistInnen der Klinik für die Behandlung vor Ort hinzuziehen. Natürlich können wir damit noch keine Rettungsstelle ersetzen. Inzwischen können aber auch Kommunen medizinische Versorgungszentren gründen und mit angestellten ÄrztInnen eine umfangreiche Verfügbarkeit der medizinischen Versorgung ermöglichen. Eine gute Versorgung ist keine Frage von Institutionen oder Bauwerken sondern eine Frage guter Prozesse und enger Zusammenarbeit. Dafür braucht es nur selten mehr Geld, sondern häufig mehr Mut und mehr Veränderungsbereitschaft bei allen Beteiligten.